• Rechtsgebiet:
  • Versicherungsrecht
  • Haftpflichtversicherung
  • Verkehrsunfall

Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachtens im Kostenfestsetzungsverfahren.

BGH, Beschluss vom 18.11.2008 - VI ZB 24/08: Ein Anspruch auf Erstattung von Kosten eines vorprozessual beauftragten Privatsachverständigen kann auch dann bestehen, wenn bei Erteilung des Gutachtensauftrags ausreichende Anhaltspunkte für einen versuchten Versicherungsbetrug gegeben waren und das im Einzelnen nicht angegriffene Gutachten aufzeigt, dass Ersatz von Schäden begehrt wurde, die durch den Unfall nicht entstanden sein können (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 16/08).

19.12.2008

Als Parteigutachten oder Privatgutachetn werden im Zivilprozess solche Gutachten bezeichnet, die nicht das Prozessgericht zum Zweck der Durchführung einer Beweiserhebung in Auftrag gegeben hat, sondern die eine Partei im Zusammenhang mit einer konkreten Rechtsangelegenheit veranlasst hat.
Der Ausgang von Zivilprozessen hängt häufig von dem richtigen Verständnis und dem Beweis komplexer tatsächlicher Verhältnisse und Zusammenhänge ab. Dies gilt schon für Prozesse über die richtige Regulierung eines ordinären Blechschadens im Bereich der Kfz-Haftpflicht- oder Kaskoversicherung, erst recht natürlich im Bereich der Personenversicherung, wo z.B. die Frage der Berufsunfähigkeit in der Berufsunfähigkeitsversicherung oder der Ursache und des Grades der Invalidität in der Unfallversicherung, der Krankheitskostenversicherung oder der Krankentagegeldversicherung, wo komplizierte medizinische Fakten und Zusammenhänge zu klären sind. Natürlich gilt dies besonders für Arzthaftungssachen und das ganze Feld der Produkthaftpflicht, für nahezu alle technischen Bereiche, im Baurecht, im Maschinen- und Anlagenbau, der Prozesstechnik, der Verfahrenstechnik, im geamten Bereich des Patentwesens und auch im Familienrecht.

In den meisten Prozessen im Bereich des Rechts der Sachversicherungen gilt dies sowohl für Feststellungen zum Anspruchsgrund - z.B. die Feststellungen von Brandursachen in der Feuerversicherung oder der Feuerbetriebsunterbrechungsversicherung, als auch für die Feststellungen zur Berechnung der Entschädigungsleistung, der Anspruchshöhe, die in aller Regel ohne die Inanspruchnahme von Sachverständigen gar nicht zu bewältigen sind, wie sich schon bei der Abwicklung einfach gelagerter Schäden im Bereich der Gebäudeversicherung oder in der Hausratversicherung bei Leitungswasserschäden an simplen Einbauküchen zeigt.

Hier ist die beweisbelastete Partei, sofern die Tatsachen streitig sind, darauf angewiesen, den Sachverständigenbeweis zu führen. Dazu werden häufig schon zur Vorbereitung einer Klage oder der Abwehr eines Anspruchs Sachverständige eingeschaltet.
In diesen Fällen entzündet sich nach Abschluss des Rechtsstreits nicht selten eine zweite Auseinandersetzung der Prozessparteien im Kostenfestsetzungsverfahren an der Frage ob und in welchem Umfang die Kosten, die durch die Beauftragung eines Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens verbunden sind, von der unterlegenen Prozesspartei nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu ersetzen sind. Danach sind von der unterlegenen Prozesspartei, die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.

Problematisch ist dies in den Fällen, in denen sich eine Prozesspartei ohnehin zur Ermittlung der von ihr geschuldeten Leistung eines oder mehrerer Sachverständiger bedienen muss, wie dies im Bereich des Haftpflichtrechts und des Versicherungsvertragsrechts meist erforderlich ist und deshalb ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Erstattung solcher Gutachterkosten nicht begründet ist und die Ergebnisse der Gutachtertätigkeit im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung in Form von Parteigutachten in den Rechtsstreit eingeführt und ggf. auch vom Gericht verwertet werden. Zu denken ist nur an die routinemäßige Beauftragung von Kfz-Sachverständigen mit der Feststellung des Schadensumfangs und der Höhe der Entschädigung und der Verwendung des Gutachtens in einem anschließenden Haftpflicht oder Kaskoprozess. In der privaten Unfallversicherung wird außer in ganz eindeutigen Fällen, die Feststellung des Eintritts einer bedingungsgemäßen Invalidität und des Grades der Invalidität ohne die Einschaltung medizinischer Sachverständiger ebensowenig möglich sein, wie in der Berufsunfähigkeitsversicherung die Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit. Ebenso liegt es in allermeisten Schadensfällen in den Sachversicherungen. Schon ein einfacher Leitungswasserschaden in der Gebäudeversicherung oder der Hausratversicherung ist ohne die Beauftragung eines Sachverständigen nicht zu regulieren. Bei großen Schäden in der gewerblichen und industriellen Feuerversicherung oder der Betriebsunterbrechungsversicherung ist besteht die Regulierungstätigkeit im wesentlichen in der Beauftragung, Koordination und Überwachung der Tätigkeit einer Vielzahl von Sachverständigen bei der Schadensfeststellng und Schadensbewertung. Es stellt sich dann nämlich in nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen häufig die Frage, welche Sachverständigenkosten von der im Prozess unterlegenen Partei erstattet verlangt werden können, welche nicht und nach welchen Kriterien die erstattungsfähigen Kosten von den nicht zu erstattenden Aufwendungen abzugrenzen sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des u.a. für das Schadensersatzrecht zuständigen VI. Zivilseenats des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 153, 235; Beschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05 - VersR 2006, 1236, 1237 f. und vom 4. März 2008 - VI ZB 72/06 - VersR 2008, 801) sind die Kosten für ein vorprozessual erstattetes Privatgutachten grundsätzlich nur dann als "Kosten des Rechtsstreits" im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen und damit erstattungsfähig, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Dagegen sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig.
Damit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat dabei grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein grundsätzlich nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen.

Für den konkreten Einzelfall ist mit der Ersetzung des unbestimmten Rechtsbegriffes der Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung durch den mindestens ebenso unbestimmten Rechtsbegriff der "Prozessbezogenheit" kein praktischer Erkenntnisgewinn verbunden. Es stellt sich nämlich sofort die Frage, nach welchen Gesichtspunkten diese Prozessbezogenheit festzustellen ist. Welches sind diese Kriterien? Sind dies die subjektiven Zweckvorstellungen der den Gutachtenauftrag auslösenden Partei zur Sach- und Rechtslage, insbesondere deren strategische und taktische Überlegungen im Hinblick auf das im Streit stehende Rechtsverhältnis? Reicht die Ähnlichkeit, Gleichartigkeit oder Identität der vorgerichtlich und im Prozess zu treffenden tatsächlichen Feststellungen für die Annahme eines sachlichen Zusammenhangs? Spielen darüberhinaus rein zeitliche Gesichtspunkte eine Rolle, wie z.B. ein mehr oder weniger enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Beauftragung des Gutachtens und dem Beginn eines Rechtsstreits über den Gegenstand des Gutachtens? Wie immer ist die richtige Erkenntnis des Rechts nicht aus den Begriffen abzuleiten, sondern aus der genauen, interessengerechten und wertenden Betrachtung der Umstände es Einzelfalls. So entscheidet auch der Senat den vorliegenden Fall, in dem zwar der Verdacht eines Versicherungsbetruges im Raume stand, der für einen materiell-rechtlichen Kostenersatzanspruch erforderliche Nachweis des versuchten Versicherungsbetruges gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 2 StGB aber (noch) nicht geführt war. Der Senat:

"Nach der Rechtsprechung des Senats und der Oberlandesgerichte wird nämlich eine die Erstattungsfähigkeit auslösende Prozessbezogenheit trotz Fehlens eines engen zeitlichen Zusammenhangs in den Fällen bejaht, in denen sich der Verdacht eines Versicherungsbetrugs aufdrängt, weil sich der Versicherer dann von vornherein auf einen Deckungsprozess einstellen muss (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 16/08 - z.V.b. und vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02 - VersR 2003, 481 f.; KG Berlin JurBüro 1989, 813; OLG Brandenburg VersR 2006, 287, 288; OLG Frankfurt VersR 1996, 122; OLG Karlsruhe VersR 2004, 931, 932; OLG Köln VersR 2004, 803; OLG Hamburg JurBüro 1989, 819 und JurBüro 1991, 1105, 1106; OLG Hamm zfs 2003, 145; OLG Koblenz VersR 2004, 933 und JurBüro 2006, 543 f., sowie die oben genannten Stimmen in der Literatur; a.A. OLG Karlsruhe JurBüro 2005, 656). Sind ausreichende Anhaltspunkte für den Versuch eines Versicherungsbetrugs vorhanden, ist von Anfang an damit zu rechnen, dass es zum Prozess kommt, weil der Täter bei Ablehnung der Einstandspflicht versuchen wird, sein Ziel einer nicht gerechtfertigten Schadensregulierung durch einen Rechtsstreit zu erreichen. In einem solchen Fall ist das Privatgutachten - unabhängig von einer ausreichenden zeitlichen Nähe zum Rechtsstreit - regelmäßig als prozessbezogen anzusehen. Die Kosten hierfür sind daher im Rahmen der Bestimmungen auch dann erstattungsfähig, wenn ein Verlust von Beweismitteln nicht zu besorgen ist. Der Versicherer besitzt nämlich in der Regel selbst nicht die erforderliche Sachkenntnis, um eine Verursachung der Schäden durch eine Straftat mit hinreichender Überzeugungskraft und Sicherheit auszuschließen. Er kann deshalb billigerweise nicht darauf verwiesen werden, zunächst die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht abzuwarten. Vielmehr ist es in einem solchen Fall zweckmäßig und prozessökonomisch, wenn die Partei sich sachkundig beraten lässt, ehe sie vorträgt.  
Im hier zu entscheidenden Fall hat das eingeholte Gutachten den hinreichenden Verdacht eines versuchten Versicherungsbetrugs bestätigt. Der Kläger hat nämlich auch Schadenspositionen als unfallbedingt abgerechnet, die durch den behaupteten Unfallhergang nicht entstanden sein können."