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Rechtsschutzversicherung: Inhaltskontrolle für eine Vergünstigungsklausel bei Beauftragung eines von der Versicherung empfohlenen Rechtsanwalts; Beschränkung des Rechts der freien Anwaltswahl

LG Bamberg Urteil vom 08.11.2011 - 1 O 336/10 - : 1. Hat der Versicherte im Falle der Rechtsschutzversicherung die Möglichkeit frei zu wählen, ob er einen vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwalt oder einen von ihm selbst ausgewählten Anwalt beauftragt, stellt dies grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Recht der freien Anwaltswahl dar, auch wenn in den AVB der Rechtsschutzversicherung ein finanzieller Anreiz für diejenigen Versicherungsnehmer enthalten ist, die der Empfehlung der Versicherung Folge leisten. 2. Der finanzielle Anreiz darf nicht derart hoch bemessen sein, dass er zu einer Aushöhlung der Wahlfreiheit führt.

22.11.2011

Das Landgericht Bamberg hat am 08.11.2011 ein in für die Rechtschutzversicherung höchst bedeutsames Urteil  verkündet. Bedeutsam ist das Urteil schon im Hinblick auf die Prozessbeteiligten. Klägerin war die Rechtsanwaltskammer München, Beklagte ein zu den Marktführern im der Rechtschutzversicherungsbranche führendes Versicherungsunternehmen mit Sitz  in einer  Oberfränkischen Mittelstadt. Bedeutsam ist das Urteil auch deshalb, weil es im Kern um das Schadensmanagement der Rechtsschutzversicherer bei der Verteilung eines Beitragsaufkommens von derzeit etwa 3,3 Milliarden € geht. Durch Regulierungsabkommen, Vertrauensanwälte, Schadensfreiheitsrabatte und andere Anreize versuchen die Versicherer Einfluss auf die Entscheidung ihrer Versicherungsnehmer bei der Anwaltswahl zu nehmen.  Der beklagte Versicherer hat in seinen ARB einen  Schadensfreiheitsrabatt bei schadensfreiem Verlauf der Rechtsschutzversicherung vorgesehen, der sich bei Nichtinanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung während der Dauer eines Versicherungsjahres so auswirkt, dass sich die vereinbarte Selbstbeteiligung nach einer Schadensfreiheitstaffel reduziert,  im Verlauf einer Reihe von schadensfreien Jahren sogar bis auf null. Der schadensfreie Verlauf  war in § 5 a Abs. 5 der allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) der Beklagten definiert wie folgt:

a) Schadenfreier Verlauf:

aa)

Ein schadenfreier Verlauf des Vertrages liegt vor, wenn der Versicherungsschutz von Anfang bis Ende eines Versicherungsjahres bestanden hat und der Versicherer in dieser Zeit für keinen Rechtsschutzfall eine Deckungszusagen erteilt hat und keine Maßnahmen eingeleitet sind, die ein Kostenrisiko gemäß § 5 auslösen (z. B. Beauftragung eines Rechtsanwalts, Einreichung einer Klage).

bb)

Der Vertrag gilt auch als schadenfrei, wenn der Rechtsschutzfall durch eine Erstberatung abgeschlossen ist oder wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird.

Die klagende Rechtsanwaltskammer sah in den in den allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung der Beklagten enthaltenen Regelungen, dass ein schadenfreier Verlauf auch vorliege, wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird und umgekehrt, dass ein schadenbelasteter Verlauf nicht vorliegt, wenn ein Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt wird und die hieran geknüpfte Rückstufung in den Schadenfreiheitsklassen mit einer damit verbundenen höheren Selbstbeteiligung einen Verstoß  gegen §§ 127, 129 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO, §§ 4 Nr. 1, Nr. 4 und Nr. 11 UWG sowie § 307 Abs. 2 BGB. Hauptargument der Rechtsanwaltskammer war, dass durch diese vertragliche Regelung das Recht  des Versicherten auf freie Anwaltswahl eingeschränkt werde.

Das Recht auf freie Anwaltswahl ist ein zentrales Verfahrensgrundrecht in allen rechtsstaatlichen Justiz- und Verwaltungsverfahren und folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Fair Trial). Unter dem Begriff „freie Anwaltswahl“  ist das Recht einer jeden Person zu verstehen, sich in allen Rechtsangelegenheiten durch einen Rechtsanwalt ihrer Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen.
Für Deutschland ist das Recht auf freie Anwaltswahl in § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) positiv normiert. Als Verfahrensgrundrecht folgt es aus dem Rechtsstaatsprinzip – Art 20 Abs. 3 GG – sowie aus den allgemeinen Freiheitsrechten, Art. 2 Abs. 1 GG, ist allerdings im Grundgesetz nicht ausdrücklich formuliert. Ausdrücklich geregelt ist das Recht der freien Anwaltswahl hingegen in Art 6 Abs. 1, i. V. m. Abs. 3 c. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Für den Bereich der Rechtsschutzversicherung ist das Recht der freien Anwaltswahl durch Art. 4 Abs. 1 ausdrücklich in der Richtlinie 87/344/EWG festgelegt und durch Umsetzung der Richtlinie in § 158 m VVG a.F., seit 01.01.2008 in  § 127 VVG geregelt worden, der nach § 129 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abbedungen werden kann. Dem Rechtsschutzversicherer ist es danach untersagt, dem Versicherungsnehmer im Rechtschutzfall die Beauftragung bestimmter Anwälte vorzuschreiben.

Die Einschränkung sei in einer unlauteren Einwirkung des Beklagen Versicherers auf seine Versicherungsnehmer begründet. Eine solche zumindest unmittelbare Einwirkung liege in der vertraglichen Vereinbarung nicht unerheblicher finanzieller Nachteile des Versicherungsnehmers in einer Größenordnung zwischen 150 € bis 300 € für den Fall, dass er von seinem Recht auf freie Wahl seines Anwaltes Gebrauch mache und von der Beauftragung des vom Versicherer benannten Anwaltes absehe.

Dieser Argumentation ist die 1. Zivilkammer des Landgerichts in dem ausführlich und sehr sorgfältig begründeten Urteil nicht gefolgt. Mit der Vereinbarung dieser ARB und insbesondere dem Verzicht auf eine Rückstufung des Versicherungsnehmers im Falle der Inanspruchnahme eines vom Versicherer vorgeschlagenen Anwaltes, werde nicht in den Kernbereich des Rechts auf freie Auswahl des Anwaltes eingegriffen, weil damit keine gravierende Einflussnahme auf die Auswahlentscheidung des Versicherungsnehmers verbunden sei, weil ein verständiger und informierter Versicherungsnehmer durch derartige finanzielle Überlegungen sich nicht in der Auswahl seines Rechtsanwaltes beeinflussen lasse. Auf dieser Prämisse baut das ganze Urteil auf und begründet von dieser Prämisse ausgehende das Ergebnis der rechtlichen Prüfung konsistent. Ob diese Prämisse letztlich tragfähig ist, ist allerdings zu hinterfragen, nicht zuletzt, weil nicht deutlich wird, wo die Grenze liegt, ab der ein finanzieller Anreiz so hoch ist, dass dadurch die Wahlfreiheit ausgehöhlt wird. Ist diese Grenze für einen gut situierten Versicherungsnehmer anders zu ziehen, als für einen, dessen finanzielle Verhältnisse als beengt angesehen werden müssen? Ab welchem Betrag korrumpiert ein finanzieller Anreiz zum Verzicht auf die Ausübung eines Grundrechtes das Grundrecht selbst?

Bei dieser Materie handelt es sich um harmonisiertes Recht, deshalb ist auch die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinienkonformen Auslegung der §§ 127 ff VVG heranzuziehen. Aufschlussreich zur Postion des EuGH

Eschig gegen Uniqa, C-199/08 vom 10. September 2009
Stark gegen D.A.S. C-293/10 vom 26. Mai 2011

 

Versicherungsvertragsgesetz
§ 127 Freie Anwaltswahl
(1) 1Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, zu seiner Vertretung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren den Rechtsanwalt, der seine Interessen wahrnehmen soll, aus dem Kreis der Rechtsanwälte, deren Vergütung der Versicherer nach dem Versicherungsvertrag trägt, frei zu wählen.2Dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer Rechtsschutz für die sonstige Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Anspruch nehmen kann.

§ 129 Abweichende Vereinbarungen
Von den §§ 126 bis 128 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.
Bundesrechtsanwaltsordnung

§ 3 Recht zur Beratung und Vertretung

(3) Jedermann hat im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen.