• Rechtsgebiet:
  • Versicherungsrecht
  • Kaskoversicherung

Trunkenheitsfahrt, Kaskoschaden, Leistungsfreiheit der Versicherung, Kürzung der Versicherungsleistung auf Null, grobe Fahrlässigkeit, § 28 Abs. 2 VVG, AKB 2008, grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung, Kfz-Versicherung, Kaskoversicherung

BGH Urteil vom 11.01.2012, Az.: IV ZR 251/10 Der Versicherer kann bei grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen (hier: Kürzung auf null bei absoluter Fahruntüchtigkeit). Dazu bedarf es der Abwägung der Umstände des Einzelfalles (Fortführung von Senatsurteil vom 22. Juni 2011 - IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037).

03.02.2012

Mit der vorliegenden Entscheidung klärt der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivil-senat des Bundesgerichtshofs eine Rechtsfrage, die sich als Folge der Reform des Versiche-rungsvertragsgesetzes im Jahre 2007,  das neue VVG ist am 01.01.2008 in Kraft getreten, neu ergeben hatte.
Nach altem Versicherungsvertragsrecht, § 6 Ab. 1, Abs. 2  VVG a.F., verhielt es sich so, dass der Versicherungsnehmer, die Vereinbarung entsprechender Bedingungen vorausgesetzt, seinen Anspruch auf Entschädigung aus der Vollkaskoversicherung wegen eines selbst ver-schuldeten Unfalles in voller Höhe verloren hat, wenn der Eintritt des Unfalls und des daraus entstehenden Schadens am versicherten Fahrzeug, darauf beruhte, dass der Versicherungs-nehmer sich, entgegen einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit, grob fahrlässig verhalten hatte, Alles-oder-Nichts-Prinzip. Die gravierende Folge vollständigen Ans-pruchsverlustes war verbreitet als ungerecht empfunden worden, so dass die Beseitigung der Geltung dieses Prinzips ein wesentliches Ziel der Reform des VVG gewesen war. Das modernisierte VVG sieht dann auch dieses „Alles oder Nichts“ als Prinzip nicht mehr vor. An dessen Stelle ist – für den hier interessierenden Bereich der Mitwirkung von Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers/Versicherten bei der Verursachung des versicherten Kfz-Schadens – die in § 28 Absatz 2 Satz 2 VVG n.F. festgelegte Regel getreten, dass dann, wenn der Versicherungsnehmer grob fahrlässig eine Obliegenheit verletzt, der Versicherer berechtigt ist, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers Sache des Versicherungsnehmers ist, sich dann, wenn fest steht, dass eine vertraglich vereinbarte Obliegenheit verletzt wurde, zu entlasten, also zu beweisen, dass auf seiner Seite keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt.
Es ergab sich deshalb alsbald die Frage ob denn diese Rechtsregel des § 28 Abs. 2  Satz 2 VVG n.F. , vor dem Hintergrund der „Abschaffung“ des Alles oder Nichts Grundsatzes so zu verstehen sei, dass eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers auch im Falle „gröbster“ grober Fahrlässigkeit nicht mehr in Betracht komme, diese Sanktion vielmehr den Fällen der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung vorbehalten sei, oder ob, und falls ja, nach welchen Grundsätzen, auch im Fall grober Fahrlässigkeit nach dem neuen Recht doch noch Leistungsfreiheit des Versicherers eintreten könne, gerne als „Kürzung auf Null“ bezeichnet.
Mit dem vorliegenden Urteil vom 11.01.2012 hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs erstmals, wenig überraschend am Exempel der Teilnahme am Straßenverkehr in alkoholisiertem Zustand mit Blechschadensfolge, diese Rechtsfrage für den Bereich der vertraglich vereinbarten Obliegenheiten geklärt, nachdem dies für die Fälle der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls gem. § 81 Abs. 2 VVG bereits mit Urteil des Senats vom 22.06.2011, Az.: IV ZR 225/10 geschehen war .
Der Bundesgerichtshof hat nun, wiederum am Fall einer Trunkenheitsfahrt, entschieden, dass der Versicherer bei grob fahrlässiger Verletzung einer entsprechenden Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen darf, sog. Kürzung auf Null.
Der Senat:
Für § 81 Abs. 2 VVG ist die Frage der Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null in Ausnah-mefällen durch Senatsurteil vom 22. Juni 2011 (IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037) geklärt. Dort hat der Senat entschieden, dass die in § 81 Abs. 2 VVG geregelte Rechtsfolge, wonach der Versicherer berechtigt ist, "seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen", einer vollständigen Versagung der Leistung in Ausnahmefällen nicht entgegen steht. Es bedarf dabei stets einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles. Weder der Wortlaut der Norm noch dessen Entstehungsgeschichte schließen eine Leistungskürzung auf null aus. Auch der mit der Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips verfolgte Gesetzeszweck führt nicht zur Unzulässigkeit der vollständigen Leistungsfreiheit. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen sich der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähert.
Diese Grundsätze treffen ebenso auf die Regelung des § 28 Abs. 2 VVG zu. Hinsichtlich der Rechtsfolge weisen beide Vorschriften einen identischen Wortlaut auf. Sie teilen dieselbe Entstehungsgeschichte. Der vom Gesetzgeber mit der Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips verfolgte Gesetzeszweck ist bei beiden Normen der gleiche. Anhaltspunkte für den Aus-schluss einer Leistungskürzung auf null gibt es nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in Rechtsprechung oder Literatur für § 28 Abs. 2 VVG und § 81 Abs. 2 VVG unterschiedliche Rechtsfolgen angenommen werden.

§ 28 Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit
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(2) Bestimmt der Vertrag, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsneh-mer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, ist er leis-tungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer.

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AKB 2008 Musterbedingungen GdV

A.2.16 Was ist nicht versichert?
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit
A.2.16.1 Kein Versicherungsschutz besteht für Schäden, die Sie vorsätzlich herbeiführen. Bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. D.3 Welche Folgen hat eine Verletzung dieser Pflichten?
Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung
D.3.1 Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in D.1 und D.2 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, dass Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.