• Rechtsgebiet:
  • Versicherungsrecht
  • Unfallversicherung

Versicherungsrecht private Unfallversicherung: BGH Beschluss v. 18.01.2012, IV ZR 116/11, Ertrinkungstod, Badetod, Tauchunfall, Badewannentod, Ertrinken, Beweislast und Beweismaß für Ertrinkungstod

BGH Beschluss vom 18.01.2012, IV ZR 116/11, OLG Nürnberg Urteil vom 19.05.2011, 8 U 1906/10

31.01.2012

Mit einem Hinweisbeschluss gem. § 552a ZPO vom 18.01.2012, hat der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes die mit einem Urteil vom 22.06.1977 – Az.: IV ZR 128/75 - entwickelte Rechtsprechung des Senats zu den Grundsätzen zur Eintrittspflicht des Unfallversicherers bei Tod durch Ertrinken zusammengefasst und bestätigt.
Dazu bestand wohl Anlass, weil bei der Anwendung dieser Grundsätze immer wieder Schwierigkeiten, bzw. Unsicherheiten in der Handhabung dieser Grundsätze, in der Prozesspraxis zu beobachten sind, die wohl das Oberlandesgericht Nürnberg – Stichwort „typisches“ oder „atypisches“ Ertrinken, Badetod-  zur Zulassung der Revision bewogen hatten.
Diese Schwierigkeiten ergeben sich häufig aus der Vermengung von Fragen hinsichtlich der Definition des Begriffes des Unfalls beim Unfalltod durch Ertrinken und Fragen der Kausalität von Ereignissen, die zum Ertrinken geführt haben, beispielhaft hierfür die Auffassung Grimms; Unfallversicherung, 4. Aufl., AUB 99 Nr. 1, Rdnr. 33, der einen Ertrinkungstod nur annehmen will, wenn die zum Ertrinken führende Kausalkette bereits vorher mit einem Geschehen außerhalb des Körpers begonnen hat.
Der Beschluss des Bundesgerichtshof ist deshalb von Interesse, weil zum einen nochmals aufgezeigt wird, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen ein Unfall(-tod) der versicherten Person durch Ertrinken angenommen werden muss, zum anderen, weil die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Unfalles einerseits, für das Eingreifen eines Ausschlusstatbestandes andererseits, lehrbuchmäßig erläutert wird. Der Senat gibt eine ebenso kurz gefasste, wie deutliche Anleitung dazu, welchen Sachverhalt der Anspruchsberechtigte zur Begründung des Anspruchs auf eine vereinbarte Todesfallleistung darzulegen und zu beweisen hat und welche Tatsachen ein Unfallversicherer darzulegen und zu beweisen hat, um von einer Leistungsverpflichtung evtl. doch noch loszukommen.
Auch hier weist der Senat zunächst wieder auf das „Grundgesetz“ des Versicherungsvertragsrechts hin, dass allein maßgeblich für die Beurteilung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung die vertraglich vereinbarten Versicherungsbedingungen sind, deren Unfallbegriff durch den Vortrag des Anspruchsberechtigten erfüllt sein muss:
Der Anspruchsteller muss nachweisen, dass es einen Unfall in Gestalt des Todes durch Ertrinken gegeben hat. Er braucht jedoch nicht die Ursachen und den Verlauf des Unfalles zu beweisen. Vielmehr genügt die Schilderung von Geschehensabläufen, die den Unfallbegriff der maßgeblichen Versicherungsbedingungen erfüllen.

Was als Unfall im Sinne der Unfallversicherung anzusehen ist definiert § 178 VVG

Leistung des Versicherers
(1) Bei der Unfallversicherung ist der Versicherer verpflichtet, bei einem Unfall der versicherten Person oder einem vertraglich dem Unfall gleichgestellten Ereignis die vereinbarten Leistungen zu erbringen.
als gesetzliches Leitbild in der Legaldefinition des § 178 Abs. 2 Satz 1 VVG

(2) Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Die Unfreiwilligkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.

Diese Norm ist allerdings gem. § 191 VVG dispositiv ist, d. h. dass nach der Systematik des Versicherungsvertragsgesetzes der Begriff des Unfalles individuell und grundsätzlich auch in AVB, in den Grenzen der §§ 305c, 307 BGB  - Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle – frei vereinbart werden kann, so dass der Unfallbegriff also grundsätzlich im Versicherungsvertrag abweichend vom Gesetz definiert werden könnte. Gleichwohl ist dieser Unfallbegriff in allen Bedingungswerken in gleicher Weise definiert, z.B.:

Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2010) Musterbedingungen des GDV
(Stand: Oktober 2010)
1.3.
Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

Der Senat gewinnt durch Auslegung dieser Definition des Unfallbegriffes das Ergebnis:
Für den Unfallbegriff kommt es allein auf dasjenige Ereignis an, das den Schaden unmittelbar ausgelöst hat, nicht auf dessen einzelne Ursachen, die nur im Rahmen der Ausschlussklauseln eine Rolle spielen können (BGH, Urteil vom 10. Januar 1957 II ZR 162/55, BGHZ 23, 76, 80).

Die Frage, welches dieses Ereignis nun ist, das den Schaden – Tod durch Ertrinken -  unmittelbar auslöst, beantwortet der Senat kurz und bündig: Ertrinken beginnt aus medizinischer Sicht mit dem Eindringen von Wasser in den Kehlkopf. Dieses ist das dem Schaden nächste, von außen auf den Körper einwirkende Ereignis, das ohne weitere Einwirkungen von außen, also unmittelbar den Ertrinkungstod auslöst. Der Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen ist das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf.
Das hat zur Folge, dass der Anspruchsteller nur darzulegen und zu beweisen hat, dass ein Unfall durch Ertrinken, d.h. durch das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf, vorliegt. Es kommt also für die Darlegung und den Beweis des Unfalles in keiner Weise darauf an, welche Ursache dafür maßgeblich war, dass Wasser in den Kehlkopf des vom Ertrinkungstod betroffenen Versicherten eingedrungen ist und den Ertrinkungstod verursacht hat.
Diese Ursachen, die dem Eindringen von Wasser in den Kehlkopf vorausgehen, also die vor dem Eindringen von Wasser in den Kehlkopf liegenden Glieder einer zum Tode des Versicherten führenden Kausalkette, sind erst von Bedeutung, wenn zu beurteilen ist ob die Voraussetzungen für das Eingreifen eines Ausschlusstatbestandes vorliegen, also ein Umstand festgestellt werden kann, der den Anspruch auf Versicherungsleistung ausschließt.
Das ist dann der Fall, wenn mit dem erforderlichen Beweismaß festgestellt werden kann, dass am Anfang der zum Tode des Versicherten führenden Kausalkette z. B. eine auf einer funktionellen Herzstörung beruhende Bewusstseinsstörung bestand.  Diese tatsächlichen Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes sind vom Versicherer darzulegen und zu beweisen.

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