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  • Versicherungsrecht

Unfall

27.05.2011

Ihr zuständiger Rechtsanwalt

Michael Prettl LL.M.
Fachanwalt für Versicherungsrecht

Rechtsanwalt Michael Prettl Versicherungsrecht
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von Fachanwalt für Versicherungsrecht Michael Prettl LL.M.

Im allgemeinen Sprachgebrauch steht der Begriff " Unfall ", der seit dem 15. Jhdt. bezeugt ist, synonym für Unglücksfälle, die zu Personen- oder Sachschäden führen. Danach ist „Unfall ein plötzliches Ereignis, das einen Schaden verursacht, insonderheit die Verletzung oder den Tod eines Menschen zur Folge hat“.

In der Rechts- und Gesetzessprache erscheint der Begriff des Unfalls in vielfältiger Bedeutung als Tatbestandsmerkmal, an welches, ggf. in Kombination mit anderen Tatbestandsmerkmalen, bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind. Dabei kann der Unfallbegriff je nach Regelungsbereich und Zweck der Regelungen unterschiedliche Inhalte haben. Insoweit ist der Unfallbegriff ein Zweckbegriff. In diesem Sinne wird er in einer Vielzahl von Gesetzen (z. B. §§ 1045 BGB, 142 StGB, 34 StVO) und auch in Versicherungsbedingungen (z. B. §§ 12 (1) I AKB, 2 (2)c AVBR, 3.3.1 AVB Wassersport u. a.) verwendet.

Für die Zwecke des Versicherungsrechts werden Unfallbegriffe unterschiedlichen Inhalts verwendet, ganz besonders deutlich wird dies aus dem Vergleich des Unfallbegriffes (Arbeitsunfall) der gesetzlichen Unfallversicherung mit demjenigen der privaten Unfallversicherung.

Im Rahmen des Versicherungsvertragsrechts dient der Begriff des Unfalls der Bestimmung der tatbestandlichen Voraussetzungen (Versicherungsfall), an die der Versicherungsvertrag die Folge der Leistungspflicht der Versicherung in der jeweils betroffenen Versicherungssparte knüpft und kann daher wiederum jeweils unterschiedlichen Inhalt haben, wie die Gegenüberstellung des Unfallbegriffes in der privaten Unfallversicherung und desjenigen in der Fahrzeugvollversicherung (Vollkaskoversicherung) augenfällig macht.

Private Unfallversicherung

Für die private Unfallversicherung war bis zum Inkrafttreten des reformierten Versicherungsvertragsgesetzes am 01.01.2008 eine Legaldefinition des Versicherungsfalles und des Unfallbegriffes nicht im Gesetz enthalten. Das am 01.01.2008 in Kraft getretene Gesetz enthält nunmehr eine solche Legaldefinition in § 178 Abs. 2 Satz 1 VVG, die aus der Kautelarpraxis in das Gesetz übernommen wurde:

(2) Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Köper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

Diese Norm ist allerdings gem. § 191 VVG dispositiv, d.h. dass nach der Systematik des Versicherungsvertragsgesetzes der Begriff des Unfalls individuell und grundsätzlich auch in AVB, in den Grenzen der §§ 305c, 307 BGB - Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle -, frei vereinbart werden kann, so dass der Unfallbegriff also, je nach dem von den Parteien des Versicherungsvertrages verfolgten Zwecken im Versicherungsvertrag abweichend vom Gesetz definiert werden könnte. Gleichwohl ist dieser Unfallbegriff, entsprechend dem gesetzlichen Leitbild in § 178 VVG, in allen Bedingungswerken für das Massengeschäft beibehalten.

AUB 99/2010 1.3 (Musterbedingungen GdV)

Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

Fahrzeugversicherung (Vollversicherung)

Für die Zwecke der Kaskoversicherung, also der Versicherung von Sachen (Fahrzeugen) gegen bestimmte Schäden ist der Unfallbegriff entsprechend zweckgerichtet modifiziert:

AKB § 12 (1)II e S 1 (Musterbedingungen GdV 2004)

§ 12 Umfang der Versicherung

(1) Die Fahrzeugversicherung umfasst die Beschädigung, die Zerstörung und den Verlust des Fahrzeugs

II. in der Vollversicherung darüber hinaus

e) durch Unfall, d.h. durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis;

Private Unfallversicherung

In der privaten Unfallversicherung bezieht sich der Begriff nur auf solche Ereignisse, die zu Personenschäden führen (§§ 2 AUB 61, 1 III AUB 88/94, 1.3 und 1.4 AUB 99/2010).

Dementsprechend soll die private Unfallversicherung grundsätzlich Schutz vor denjenigen Risiken bieten, die bei dem Verlust oder der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität infolge eines Unfalls eintreten können. Versichert ist also die durch einen Unfall eintretende dauerhafte Gesundheits-schädigung (Versicherungsfall).

Ein Unfall im Sinne der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (§ 1 AUB 88 / § 1 III AUB 94 / 1.3 AUB 99) liegt also vor, wenn der Versicherte

  •     durch
  •     ein plötzlich
  •     von außen auf seinen Körper wirkendes
  •     Ereignis (Unfallereignis)
  •     eine Gesundheitsschädigung
  •     unfreiwillig erleidet.

Bei der Anwendung dieser Versicherungsbedingung auf einen konkreten Versicherungsfall ist für die Ermittlung der Bedeutung jedes Einzelnen dieser Merkmale zu beachten, dass es sich um eine Vertragsbedingung handelt und die Auslegung dieser Klausel daher nach den für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen zu erfolgen hat.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des BGH so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und auf seine Interessen an. Auch allgemeine juristische Kenntnisse können bei einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht vorausgesetzt werden.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf die Auslegung der Tatbestandsmerkmale führt gelegentlich zu scheinbar überraschenden Ergebnissen, z.B. im Fall des versehentlichen Verzehrs einer nusshaltigen Schokolade durch einen Allergiker

Plötzlich heißt, dass das Ereignis innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes eingetreten ist. Ist beispielsweise ein Versicherungsnehmer über längere Zeit sportlichen Dauerbelastungen ausgesetzt, gelten die dadurch erworbenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht als Unfall. Da der Begriff der Plötzlichkeit das Element des Unvorhersehbaren, Unerwarteten oder Unentrinnbaren enthält, kann unter bestimmten Umständen auch ein über längere Zeit wirkenden Ereignis als plötzlich gelten, beispielsweise wenn durch Einatmen giftiger Gase aus einem defekten Ofen der Tod eintritt.

Von außen auf den Körper wirkend meint, dass mechanische, chemische, thermische oder elektrische Einwirkungen ausgeübt werden, auch Eigenbewegungen wie der unbeabsichtigte Sturz von einer Leiter. Wird der Schaden durch innere organische Vorgänge ausgelöst, z. B. Ertrinken auf Grund eines Infarkts, gilt das Ereignis nicht als Unfall.

Bei dem Unfallereignis kann es sich um menschliches Handeln (Fall, Stoß, Schlag), aber auch um ein Naturereignis (Feuer, Glätte, Sturm) handeln.

Durch dieses Unfallereignis muss eine Gesundheitsschädigung erlitten worden sein, das bedeutet, dass zum Tatbestand des Versicherungsfalles in der privaten Unfallversicherung auch die Kausalität zwischen dem Unfallereignis und einer primären Gesundheitsbeschädigung gehört.

Es ist in der privaten Unfallversicherung Sache des Anspruchsberechtigten zu beweisen, dass  durch ein von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis adäquat-kausal eine Gesundheitsschädigung eingetreten ist.

Das Merkmal der Unfreiwilligkeit bezieht sich nach dem Wortlaut aller Bedingungswerke nicht auf das Ereignis, sondern auf die Gesundheitsschädigung. Bei der Rettung eines Menschen, bei Notwehr, ja, sogar bei grob fahrlässigem Handeln (z. B. Nichtbenutzen von Schutzausrüstungen) treten Gesundheitsschädigungen unfreiwillig ein und gelten daher als Unfall. Selbstmord oder Selbstverstümmelungen fallen hingegen nicht unter den Unfallversicherungsschutz.

Das Merkmal der Unfreiwilligkeit ist nicht vom Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen, es greift nämlich zu dessen Gunsten die gesetzliche Vermutung des § 178 Abs. 2 Satz 2 VVG ein, welcher eine widerlegliche gesetzliche Vermutung der Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung begründet, weswegen eben die Darlegungslast und die Beweislast dafür, dass eine freiwillige Gesundheitsbe-schädigung vorliegt, bei der Versicherung liegt.

Die Unfallversicherung tritt nur für jene Folgen eines Unfallereignisses ein, die zu einer Gesundheitsschädigung, d. h. zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit geführt haben. Die Gesundheitsschädigung muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst festgestellt werden. Es reicht nicht aus, dass sich der Versicherte nur beeinträchtigt fühlt. Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen gelten wegen einer Ausschlussklausel „Psychoklausel“ ( z. B. § 2 IV AUB 94) nicht als Gesundheitsschädigung infolge eines Unfalls .

Sachschäden, zu denen es im Zusammenhang mit einem Unfall gekommen ist, sind demzufolge nicht von der Unfallversicherung gedeckt.

Da die oben aufgeführte Definition eines generell-abstrakten Unfallbegriffs in Einzelfällen immer wieder zu Unklarheiten bei der Beurteilung führte, sind in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen bestimmte Schadensfälle ausdrücklich als Unfall ausgewiesen (Leistungseinschluss / Unfallversicherung). Demgegenüber fallen eine Reihe von Unfällen laut AUB nicht unter den Versicherungsschutz, selbst wenn für sie die Merkmale des Unfallbegriffs zutreffen (Leistungsausschluss / Unfallversicherung).